Probier’s mal mit Gelassenheit

Unsere moderne Gesellschaft erfordert immer mehr Höchstleistung von uns. In der Coronakrise einmal mehr. Und auch wir verlangen uns selbst manchmal unbarmherzig viel ab, um unsere (guten) Ziele zu erreichen.

Ellen Nieswiodek-Martin spricht die Perfektionsfalle an und lässt uns über einen anderen Weg nachdenken. Sie ist  Redaktionsleiterin der Zeitschrift „Lydia“ und Mitglied der FeG Herborn.

Ich gebe es ungern zu, aber ich bin perfektionistisch.
Ich habe konkrete Vorstellungen, wie ich die Dinge haben möchte. Wie ich sein sollte als Mutter, als Redakteurin, als Christin. Ich versuche, meinen inneren Maßstäben zu entsprechen. Und scheitere immer wieder. Aus Gesprächen weiß ich, dass ich damit nicht allein bin, sondern dass viele Frauen mit Perfektionismus kämpfen. Vermutlich geht es auch etlichen Männern so.

Dieses perfektionistische Denken hat seinen Ursprung oft in der Kindheit. In der Schule haben wir gelernt, dass diejenigen die meiste Anerkennung bekommen, die gute Leistungen bringen. Und oft setzen wir unsere Leistungen mit unserem persönlichen Wert gleich. Dazu kommen die Einflüsse der Medien und gesellschaftliche Normen. Da tappen Perfektionisten schnell in die Falle: Das Zuhause soll aussehen wie bei „Schöner Wohnen“. Natürlich kaufen wir Bio-Produkte und kochen alles selbst. Im Beruf wollen wir Höchstleistung bringen. Und bei all dem möchten wir natürlich gut aussehen.

Die Wahrheit ist: Das schaffen wir nicht – schon gar nicht in allen Bereichen. Wir möchten aber gern, dass es nach außen so wirkt. Also tun wir so, als ob.

Als Jesus zu Besuch bei den Schwestern Maria und Marta ist, beschwert Marta sich, dass sie die ganze Arbeit in der Küche allein machen muss. Maria hat sich derweil zu Jesus gesetzt. Jesus antwortet Marta: „Marta, Marta, du bist um so vieles besorgt und machst dir so viel Mühe. Nur eines aber ist wirklich wichtig und gut! Maria hat sich für dieses eine entschieden, und das kann ihr niemand mehr nehmen“ (Lukas 10,41–42).

Mit dieser Stelle habe ich lange gehadert. Immerhin ist Jesus mit zwölf Männern zu Besuch gekommen, die alle etwas essen wollen. Das wäre für mich auf jeden Fall ein Grund, gestresst zu sein!

Jesus spricht offen an, dass Marta sich zu viele Sorgen macht, dass sie falsche Prioritäten setzt. Sinngemäß sagt er: „Wenn du die ganze Zeit herumwirbelst, verpasst du die Begegnung mit mir.“ Maria hat sich zu Jesus gesetzt und ihm zugehört. Marta hat sich abgehetzt, war unglücklich und selbstmitleidig. Es hätte ihr sicher gutgetan, sich Zeit für Jesus zu nehmen. Und Marta scheint sich seine Worte zu Herzen zu nehmen. Die Bibel beschreibt an weiteren Stellen, dass Jesus noch mehrmals im Haus der Schwestern einkehrt. Bei der nächsten Begegnung ist es Marta, die Jesus zuerst entgegenläuft (Johannes 11,20). Der Satz von Jesus „Maria hat das Bessere gewählt“ hat mich herausgefordert. Ich begann mich zu fragen, wie es weitergegangen wäre, wenn Marta sich ebenfalls zu Jesus gesetzt hätte. Sicher wäre sie dann nicht mehr so unzufrieden gewesen. Sie hätte sich nicht länger benachteiligt gefühlt. Sie hätte sich auf das Wesentliche ausgerichtet und dabei einiges von Jesus gelernt. Sehr wahrscheinlich hätte sie bei ihm etwas aufgetankt, wäre zur Ruhe gekommen. Möglicherweise hätten hinterher alle zusammen das Essen zubereitet. Vielleicht hätte Jesus auch ein Wunder getan…

Wie Maria hetzen wir uns manchmal ab, um möglichst viel an einem Tag zu schaffen. Dabei verlieren wir das Wesentliche aus den Augen.

„Nur eines aber ist wirklich wichtig und gut! Maria hat sich für dieses eine entschieden, und das kann ihr niemand mehr nehmen. „(Lukas 10,42)

Wie wäre es, wenn wir die „Maria-Übung“ öfter in unserem Alltag einplanen:

Ich lasse meine Arbeit ruhen.
Ich tue einfach mal nichts.
Ich setze mich zu Jesu Füßen.
Ich freue mich, nah bei ihm zu sein.
Es ist ein kostbarer Moment.
Ich möchte wissen, was er sagt.
Ich möchte ihm zuhören.
Ich möchte von ihm lernen.
Er sieht über meinen alltäglichen Kram hinaus.
Ich lasse mich von ihm neu füllen: Mit seiner Liebe, die mich umhüllt.
Mit seiner Barmherzigkeit und Gnade.
Sein Friede und sein Licht durchdringen mich und breiten sich in mir aus.
Ich schweige und öffne mein Herz.
Er richtet meinen Blick auf das Wesentliche.
Er tröstet mich.
Gefüllt mit neuer Kraft und seinem Frieden im Herzen gehe ich zurück in meinen Alltag.

Seitdem frage ich mich, wenn ich mich abhetze: Welche inneren Antreiber bestimmen mich gerade? Welchen Maßstäben will ich genügen? Das verändert viel. Aber es gelingt nicht immer, sondern ist ein Umdenkprozess, der immer wieder geübt werden muss.

 

Der Beitrag stammt aus dem Buch „Versuchs mal mit Gelassenheit“ von Ellen Nieswiodek- Martin

Gerth Medien

Bild: Miriam Triesch